Ein Beitrag von Gastautor Chris:
Sonntag, 29. Juni 2008, Finale der Fußballeuropameisterschaft in Österreich und der Schweiz, 33. Spielminute im Wiener Ernst-Happel-Stadion. Der spanische Angreifer Fernando Torres überläuft den deutschen Verteidiger Philipp Lahm und lupft den Ball über den herausstürzenden Jens Lehmann ins deutsche Tor. Die deutschen Fans stellen sich bangend die Frage, ob ihr Team gegen die Übermannschaft des Turniers noch einmal zurück ins Spiel kommen wird.
Pünktlich zum Finale der Europameisterschaft in Wien hat das Fußballfieber auch Washington DC erfasst. Naja, vielleicht ist Fieber übertrieben, aber zumindest eine erhöhte Temperatur war spürbar. Bereits eine Stunde, bevor das Goethe Institut seine Tore öffnete, hatten sich etwa 50 Fußballbegeisterte versammelt. Sie wollten sicher gehen, auch wirklich einen Platz beim Public Viewing Event zu ergattern. Bei gut 30° C im Schatten nicht unbedingt ideal für das mitgebrachte kalte Bier – zumal auf Washingtons Straßen ein striktes Alkoholverbot herrscht. So wurde dann gesungen statt getrunken, was bei dem ein oder anderen Passanten ein bisschen Verwunderung auslöste.
Würde das Wetter in Österreich diesmal halten, oder hätte man wieder einen Bildausfall zu erwarten? Schließlich hatte man ja beim Halbfinale gegen die Türkei die entscheidenden drei Tore verpasst. Und würde Kapitän Michael Ballack spielen können? Das WM-Finale 2002, bei dem Ballack gefehlt hatte, war ja gegen die Brasilianer verloren worden. Diese Fragen wurden von den Fans, in Nationaltrikots, Fahnen schwingend oder einfach mit bemalten Gesichtern, auf der Straße diskutiert. Unter Business-Hemden sah man ein paar Spanien- und Real-Madrid-Trikots hervor blitzen, aber es war klar, dass zumindest hier die deutsche Nationalmannschaft ein Heimspiel haben würde. Angst vor dem Gegner? Fehlanzeige, schließlich hatten die deutschen Jungs ja schon gegen Portugal überzeugt. Deren Selecção war ja auch als Favorit ins Spiel gegangen.
Um 14.15h öffnete das Goethe Institut dann seine Pforten, und deutsche Touristen, Doktoranten, Praktikanten, Mitarbeiter internationaler Institutionen sowie einige amerikanische und spanische Fußballbegeisterte bahnten sich ihren Weg. Zum Glück hatten die Veranstalter mit einem solchen Ansturm gerechnet und einen zweiten Raum mit Großleinwand vorbereitet. Aus den Lautsprechern schallte Xavier Naidoos „Dieser Weg“, der Song, den unsere Nationalspieler während der WM vor zwei Jahren bei jedem Spiel gehört hatten.
Die Bedenken der deutschen Fans konnten sie schnell ausräumen: Für den Fall eines Übertragungsausfalls hatten sie einen Plan B – Umschalten auf die Web-Übertragung – und das amerikanische Fernsehen hatte wenige Minuten vorher durchgegeben, dass Ballack fit war: Grenzenloser Jubel.
Als sich für die Nationalhymne alle erhoben, bei den Schultern fassten und lauthals mitsangen, kam ein echtes Gänsehautfeeling auf. Das Spiel fing dann auch gut an. In den ersten zehn Minuten dominierten die Deutschen, die Spanier kamen zu keinem konstruktiven Angriff. In der 15. Minute prüfte Christoph Metzelder bei einer verunglückten Abwehraktion seinen Torwart, doch Lehmann parierte glänzend. Wenn Lehmann solche Dinger hält, kann uns heute ja eigentlich nichts mehr passieren, glaubten die deutschen Fans, deren Zuversicht von Minute zu Minute weiter wuchs.
Als Torres Kopfball in der 23. Minute an den Pfosten knallte, glaubten endgültige alle an das deutsche Turnierglück.
Im Gegensatz zur Österreichischen Botschaft, wo die Stimmung nach Torres Traumtor kippte, blieben die Fans im Goethe Institut weiter optimistisch. Michael Ballack kam trotz einer Platzwunde, die er sich in der 37. Minute in einem Kopfballduell mit Marcos Senna zugezogen hatte, zurück auf den Platz. „Mit dieser Einstellung können wir es noch packen“, meinte ein deutscher Fan. Trotz des Rückstands wurde die deutsche Mannschaft zur Halbzeit mit einem aufmunternden Applaus verabschiedet.
In der zweiten Halbzeit waren die Spanier deutlich überlegen, führten jedoch weiterhin nur mit einem Tor. Ein „deutscher Moment“, eine Ecke oder ein Freistoß, hätte gereicht, und die Mannschaft wäre wieder im Spiel gewesen. Doch diesmal blieb er aus.
„So ist Fußball. Manchmal gewinnt der Bessere“, hatte Lukas Podolski einmal gesagt. Nach 90 Minuten mussten die Fans eingestehen, dass die Spanier wohl verdient gewonnen hatten und Podolskis Aussage stimmte.
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